Neue Ufer und die Schönheit bekannter
Küsten von Dr. Walter Lokau, GRASSI Museum für Angewandte
Kunst Leipzig.
Sie ist in der bundesdeutschen Galerien-Szene ein
Phänomen, eine Einzigartigkeit geradezu inzwischen –
die Galerie der Marianne Heller in Heidelberg. Zumal nach dem Abtreten
der Münchner Galeristin Renate Wunderle vom aktiven Ausstellungs-Betrieb
und der Schließung ihrer Galerie b15 bleibt die Heidelberger
Galerie für zeitgenössische keramische Kunst die einzige
international operierende Galerie für diese Materialsparte
in Deutschland mit weltweitem Renommee. 1978 mit dem Schwerpunkt
englischer Keramik gegründet, hat das Galerie-Programm im Laufe
dreier Jahrzehnte eine enorme inhaltliche Erweiterung erfahren und
präsentiert heute Keramik der Gegenwart, Gefäße
wie auch Plastik, über Europa hinaus, aus der ganzen Welt.
Der lange Atem gibt ihr recht: Konzentriert, in aller Ruhe und Geduld
und nicht zuletzt mit beträchtlicher Risikobereitschaft läßt
sich Marianne Heller nicht im eigenen Anspruch an handwerkliche
und künstlerische Qualität irritieren und folgt ihrem
Gespür für Bewährtes und Innovatives, ohne in die
Beliebigkeit blöder Vielfalt sich zu verlieren. Kaum mehr als
eine Handvoll Einzel-, Paar- oder Gruppenausstellungen zeigt sie
übers Jahr, dazwischen stets gemischte Präsentationen
der von ihr permanent Vertretenen: Die delikaten Schalen Rupert
Spiras, Gefäßobjekte Ken Eastmans, Architekturen Michael
Cleffs oder Gefäße der eigenwilligen Farbmagierinnen
Sandy Brown und Pippin Drysdale sind hier immer zu haben.
So bietet Marianne Heller auch im 32sten Jahr des Bestehens ihrer
Galerie eine keramische Wanderung über die Kontinente, wie
sie an keinem anderen Ort in Deutschland zu sehen sein dürfte.
2010 beginnt mit einem Ausstellungsüberhang aus dem abgelaufenen
Jahr – die Doppelpräsentation der minimalistischen, salzglasierten
Steinzeug- und Porzellan-Zylinder Jane Hamlyns
und der in die christliche Mythologie versponnenen, enigmatischen
Figuren der jungen Irin Claire Curneen. Der Februar
ist der Accrochage der Bestände der Galerie gewidmet, um am
Ende, vom 28. Februar bis zum 18. April, ein weiteres Mal einen
besonderen Leckerbissen (nicht nur) für die Freunde japanischer
Keramik parat zu halten: Erstmals wird Marianne Heller eine internationale
Galerien-Kooperation eingehen und vier nach der Jahrhundertmitte
geborene Keramiker der Tokyoter Galerie Yufuku
ausstellen, aus Keramikerdynastien stammend tiefverwurzelt in ihrer
Keramikkultur allesamt, ein jeder ein Meister in seinem besonderen
Traditionszweig: Kato Yasukage XIV mit klassischen Oribe- und Shino-Gefäßen,
Maeta Akihiro mit seladonglasiertem Hajuki-Porzellan, Ono Jiro mit
in Kinrande-Technik Blattgold-verzierten Porzellangefäßen
und Yamada Yozan IV mit Teekeramik aus dem Holzofenbrand. Mitte
Mai bis Ende Juni dann wird es Neuland zu entdecken geben –
in Deutschland ist die gegenwärtige künstlerische Keramik
Finnlands weitgehend eine terra incognita. Mit der Helsinki-Gruppe,
einem losen Zusammenschluß jüngerer finnischer Keramik-Künstler,
werden gleich zehn Positionen einen Überblick über das
keramische Schaffen im hohen Norden Europas bieten, darunter die
kraftvollen Skulpturengefäße und geborstenen Plattenobjekte
Pekka Paikkaris, die zartverschatteten, poetischen Gefäßformen
Kristina Riskas, Erna Aaltonens gewellte Gefäßsäulen
oder Kirsi Kivivirtas symbolträchtige Block- und Mauerplastiken.
Ab dem 11. Juli bis Ende August setzt sich die Reihe der Einzelausstellungen
mit Arbeiten der Farbtänzerin Sandy Brown fort,
eine Sommer-Ausstellung par excellence, auf die Freundinnen und
Freunde der farbberauschten, improvisationsfreudigen Britin nach
den letzten Schauen der Jahre 2007, 2003 und 2000 bestimmt schon
sehnsüchtig warten. Der September wird mit Aktivitäten
außerhalb der Galerie gefüllt sein – die diesjährige
Tagung der Académie international de la céramique
(AIC) findet in der französischen Hauptstadt Paris statt, ein
Muß für Marianne Heller. Australien heißt dann
ab dem 3. Oktober und bis Mitte November mit einer Doppelausstellung
das Thema der Galerie – auch hier eine Neuerung: Neben den
auratischen colour-ripples-Gefäßen der Australierin Pippin
Drysdale, die schon 2002 und 2004 mit Einzelpräsentationen
zu sehen war und zum festen Bestand der Galerie gehört, werden
Arbeiten der 1966 in Australien geborenen und in München lebenden
Schmuck-Gestalterin Helen Britton geboten, die
mit ihren dekonstruktiven, Gegensätze unaufgelöst ineins
montierten - Natur/Künstlichkeit, Edles/Unedles, Farbigkeit/Monochromie,
Opulenz/Formstrenge etc. - Miniaturplastiken in Gestalt von Broschen,
Ketten oder Ohrringen international Furore gemacht hat.
Den Jahresausklang bestreitet ab dem 21. November der Franzose Vincent
Potier, auch er kein Unbekannter in der Galerie Heller,
hatte er doch 2007 hier schon eine Einzelausstellung: Gediegene
Gefäße, die, so einfach ihre Kasten- und kantigen Flaschenformen
auch erscheinen, gleichwohl rätselhaft in ihrer Funktion bleiben
und durch die Festlichkeit ihrer opulenten, gedeckten Glasurmalerei
schier zeremoniell wirken.
Neuland und bekanntes Neues – auf Mischung und Güte kommt
es an: Marianne Hellers Programm für das Jahr 2010 wird zweifellos
Stammbesucher begeistern wie auch neue Interessierte anlocken -
und ein weiteres Mal das unausgeschöpfte Potential des Materials
Keramik vor Augen führen:
Hierin zumindest gibt es keine globale Krise...
Dr. Walter Lokau, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
|